Kaufentscheidung Wohnmobil – acht Fragen

Kaufentscheidung Frage 6: Wieviel Service brauchst Du?

Die Frage erscheint auf den ersten Blick irrelevant. Erst recht, wenn es um die Kaufentscheidung für ein neues Wohnmobil geht. Aber sie hat einen speziellen Hintergrund.

vom Chassis zum Wohnmobil: gelebtes Europa

Der Wohnmobilmarkt ist ein ganz besonderer Markt. Alles beginnt mit dem Auto: Der Nutzfahrzeughersteller liefert einen Kastenwagen, ein Chassis (Teilintegrierte, Alkoven) oder einen sogenannten Windlauf (Integrierte) an das Wohnmobilwerk. (Ein „Windlauf“ hat nicht einmal ein Fahrerhaus. Was ja beim Integrierten auch nicht gebraucht wird.)

Das Wohnmobilwerk produziert darauf dann ein Wohnmobil. Und das tut es häufig als Auftragsfertiger für mehrere Marken gleichzeitig. Es kann also gut sein, dass neben Deinem Wohnmobil ein Fahrzeug eines ganz anderen Herstellers auf dem Fließband stand. Ahorn Camp mit Sitz im deutschen Speyer beispielsweise bezieht die Basisfahrzeuge von Renault (Frankreich, auch dort produziert). Die werden dann im italienischen Poggibonsi im Trigano-Werk zum Wohnmobil. Wie auch beispielsweise die Wohnmobile der italienischen Marke Rimor. Der Name „Ahorn Camp“ suggeriert deutsche oder gar kanadische Fertigung. Ist aber französische und italienische Handwerkskunst. Im Ahorn Camp findest Du vereinzelt ausschließlich italienische Beschriftungen, beispielsweise am Kabelbaum am Ladegerät oder bei dem Lasthinweis der Heckgarage. (Dafür sind die Einbaulautsprecher in den Türen von Nissan – weil Renault und Nissan zusammengehören.)

fließt in die Kaufentscheidung ein: welcher Konzern soll’s denn sein?

Und um die Verwirrung zu komplettieren: Die meisten Volumenanbieter auf dem Wohnmobilmarkt sind in Konzernen organisiert. Das oben genannte Werk der Trigano produziert nicht nur für Ahorn Camp und Rimor. Zu Trigano selbst gehören die Marken Benimar (spanische Marke), Challenger, Euramobil, Forster, Karmann mobil, Mobilvetta (Italien) und Roller Team (Italien). Zur Hymer Group hingegen gehören neben Hymer selbst 11 weitere Wohnmobilmarken von Bürstner bis Sunlight (und weitere für Wohnwagen).

Warum tun die das? Jede Marke adressiert eine etwas andere Zielgruppe. Bleiben wir bei Hymer. Die Kundschaft, denen ein Hymer oder gar Niesmann + Bischoff schlicht zu teuer ist, findet bei Carado und Sunlight (übrigens baugleich bis auf die Dekore) preiswerte Einsteiger-Wohnmobile aus dem gleichen Konzern (und oft auch gleicher Händlerbasis). Also selbst wenn es oberflächlich betrachtet zig Wohnmobilmarken gibt, sind die meisten davon zielgruppenspezifische Marken von einem einer Handvoll Konzerne.

Gleichzeitig boomt der Wohnmobilmarkt seit Jahren. Die Branche hangelt sich von Verkaufsrekord zu Verkaufsrekord. Die einem Händler zugeordneten Produktionskontingente sind heiß begehrt und schnell ausverkauft. Wer im Frühjahr ein Wohnmobil bestellt, wird im gleichen Jahr vermutlich noch nicht damit verreisen. Dazu kommt noch eine meist jährliche Modellpflege, bei der sich mindestens ein paar Formen, Farben und Dekore ändern und/oder die Ausstattungslisten überarbeitet werden.

das Thema Ersatzteile

Und jetzt kommt der Haken: wenn ununterbrochen längst verkaufte neue Wohnmobile unterschiedlichster Marken in einem Werk vom Band laufen, leidet die Ersatzteilversorgung. Es ist viel attraktiver, die Produktionskapazität für neue Fahrzeuge auszulasten, als mal ein paar Tage nur Stoßstangen und Rückleuchten für die Ersatzteilversorgung einer Marke, eines Modells zu produzieren. Oder Schranktüren für das 2018er Modell, oder Polsterbezüge im 2016er Dekor zu nähen.

Und das führt dazu, dass man als Kunde schon mal ein bisschen auf Ersatzteile wartet. Bei unserem Ahorn Camp Eco 683 sind beispielsweise zwei Schranktüren verzogen. Nicht so, dass der Schrankinhalt ‚rausfällt, aber schon störend. Reklamiert im September 2020, haben wir Mitte März 2021 (6 Monate später!) eine mit falschem Umleimer und eine weitere, gar nicht erst passende Schranktür bekommen. Inzwischen haben wir September 2021, keine Türen weit und breit. Die Kuh ist also noch nicht vom Eis.

Das ist bei einer Schranktür doof, aber letztendlich nicht urlaubsverhindert. Aber wenn Du nach einem Parkrempler ein halbes Jahr auf ein neues Rücklicht wartest, fallen ein paar Urlaube aus. Oder auf ein Aufbautürschloss nach einem Einbruchsversuch. Oder auf eine dichte Ersatzdachluke.

Gleiches gilt für die Technik.

Das gleiche Prinzip gilt für die technischen Einbauten und das Basisfahrzeug. Bei vielen Ein- und Anbauten – Heizung (truma), Toilette (Thetford), Kühlschrank (Dometic oder Thetford), Markise und Fahrradträger (Thule) – gibt es Platzhirsche, nahezu Industriestandards. Selbst im norwegischen oder griechischen Outback findest Du einen Händler, der eine Dichtung für einen truma Warmwasserboiler liefert (und einbaut).

In Bezug auf das Basisfahrzeug: Service für einen Fiat Ducato oder Mercedes Sprinter bekommst Du europa- bis weltweit. Je exotischer das Auto und das Land, umso lustiger kann es werden, wenn die Lichtmaschine streikt. Oder der Blinkerhebel abbricht.

Ein hypothetisches Beispiel: Du hast ein Wohnmobil auf Basis des Fuso Canter (Mitsubishi, Teil von Daimler Trucks). Deine Heizung ist eine Infrarotheizung von Vasner, die Toilette von Tomtur. Das muss kein schlechtes Wohnmobil sein. Aber nahezu egal, wo Du hinkommst: Du wirst den Hersteller buchstabieren müssen und kriegst im Zweifel keine Teile (außer zuhause auf dem Caravan-Salon).

Gegenbeispiel: mit einem Fiat Ducato (baugleich: Citroen Jumper) oder Mercedes Sprinter als Basisfahrzeug bist Du in Bezug auf Service auf der sicheren Seite. Sind die technischen Komponenten dann von den oben genannten Platzhirschen, wird das mit dem Service schon gutgehen. Den Rest löst Du mit Gaffa-Tape ;-).

Fazit zu Kaufentscheidung Frage 6: Wieviel Service brauchst Du?

Mit der Wahl des Herstellers triffst Du implizit auch die der Servicequalität. Und da gibt es schon einen Zusammenhang zwischen Preis und Serviceniveau. Sei Dir klar, dass ein preiswertes Wohnmobil vielleicht nicht mit europaweitem 24-h-Service einhergeht.

Gleiches gilt für das Basisfahrzeug: während ein Fiat Ducato (Citroen Jumper) oder ein Mercedes Sprinter Mainstream sind, ist schon unser Renault Master eher exotisch (zumindest als Wohnmobilbasis). Und je außergewöhnlicher das Basisfahrzeug, umso schwieriger, im Outback Hilfe oder gar Ersatzteile zu bekommen. Was beispielsweise auch ein eklatanter Nachteil der US-Vans ist, die in Europa eben nicht an jeder Ecke gewartet werden können.

Achte auf die verbauten Komponenten. Unser Ahorn Camp Eco 683 ist eine Vermieter-Baureihe – der Eco wurde anfangs nur in Mietflotten, gar nicht an Privatkunden verkauft. Und für Vermieter zählen Zuverlässigkeit und kurze Ausfallzeiten. Deswegen sind hier ausschließlich Markengeräte von Herstellern mit dichtem Servicenetz verbaut. Bei Fahrradträger oder Markise kannst Du möglicherweise Kompromisse eingehen. Aber wenn Toilette oder Heizung viele Wochen auf Ersatzteile warten, könnte der Urlaubswert leiden.

Dieser Aspekt ist sehr schwer objektiv zu bewerten. Wenn Du in einem Wohnmobil stehst, das Dir gefällt, dessen Grundriss und Ausstattung passt, und der Preis erscheint attraktiv: willst Du es dann stehenlassen, nur weil der Hersteller kein dichtes Servicenetz verspricht? Schwierig. Aber wenn Du Dich zwischen zwei Angeboten nicht entscheiden kannst: nimm‘ das mit dem plausibleren Serviceversprechen – und den Komponenten vom jeweiligen Marktführer.